Nicky Wire ist 43, gibt Interviews fast nur noch mit Sonnenbrille und lebt mit Frau und Kindern in seiner Heimat Wales. Ihn und seine Kollegen von den Manic Street Preachers als Altherrenband zu bezeichnen, wäre also richtig, aber ungerecht. Immerhin sind die Manics nicht die Scorpions Großbritanniens, sondern eher die Sterne, oder Element of Crime. Mal schauen, ob sie das mit dem Copyright ähnlich sehen, was sie sonst mit Deutschland verbindet und wieso sie so lange nicht hier getourt sind.

Nicky Wire: Guten Morgen!

Guten Morgen und späte Gratulation zu Eurem Best Of “National Treasures – The Complete Singles”. Es ist schon verrückt, dass Ihr in Eurer Bandgeschichte ganze 38 Singles hattet!

Ja, es ist eine fast absurde Zahl! Wir waren und sind ziemlich stolz drauf. Wir wollten alles zeigen: die Veränderungen, die großen Hits, die Fehlschläge, ohne Zensur.

Mit all diesen Singles seid Ihr jetzt auch auf dem europäischen Festland auf Tour, zum ersten Mal seit zehn Jahren. Warum diese lange Pause?

Ich glaube, wir sind irgendwann faul geworden. Nach “Know Your Enemy” waren wir verwirrt und haben erstmal weitestgehend auf Konzerte verzichtet. Mit dem Album „Send Away the Tigers“ sind wir dann wiedergeboren und mehr getourt, allerdings eher in Asien und dem Rest der Welt. Wir haben Europa – „our nearest and dearest“ – einfach vergessen. Dabei sind die Erinnerungen sehr gute. Seit 1992 waren wir ja ständig in Deutschland unterwegs. Am Anfang, das weiß ich noch, im Vorprogramm der Toten Hosen.

Habt Ihr Euch schon eine Art Entschuldigung überlegt?

Wir werden auf jeden Fall viele Songs spielen, die man ewig nicht live von uns gehört hat. Die Leute bei der ersten Show in London waren total baff. Dazu kommen die Hits. Von jedem Album gibt es mindestens ein Lied. Ich hoffe, da ist dann jeder zufrieden. Was es nicht geben wird, ist eine Zugabe, das haben wir in 20 Jahren Bandgeschichte noch nie gemacht. Früher hatten wir damit vor allem in zwei Ländern Probleme: Japan und Deutschland. Die Leute haben sich fast schon angegriffen gefühlt. Aber wir beenden das Ganze lieber mit einem großen Moment, als dann nochmal wiederzukommen. Seid also bitte nicht beleidigt!

Macht Euch Touren überhaupt noch Spaß?

Es gab eine Zeit, in der wir genervt waren. Aber die letzten fünf Jahre waren so entspannt wie nie. Ich freue mich schon auf den Moment, wenn ich am Kölner Dom stehe, meinem allerliebsten Ort in Europa. In Barcelona ist dann die Tour zu Ende und wir gehen alle zusammen ins Picasso-Museum, das wird super. Auf Tour kriegt man unglaublich viele Ideen zu Texten und Melodien, das ist ein guter Grund, das Unterwegssein zu mögen.

Ist denn ein neues Album schon in Planung?

Wir haben viele Ideen, aber es dauert sicher noch mindestens anderthalb Jahre. Zum Glück haben wir in Cardiff ein eigenes Studio und können dort gemütlich vor uns hin arbeiten. Nur so viel: Es wird lang werden und nicht in Richtung kommerzielles Rockalbum gehen. Das haben wir gemacht und es war toll, aber beim nächsten Album dreht sich alles mehr um den Sound als die Songs. Wir wollten ja auch unbedingt mal ein Album in diesen berühmten Münchner Studios aufnehmen. Die von Giorgio Moroder, wo Led Zeppelin mal aufgenommen haben. Aber die gibt es nicht mehr. Wie hießen sie noch gleich?

Die Musicland Studios. In den 80ern wurde daneben eine U-Bahn-Strecke gebaut und sie wurden geschlossen.

Ich bin überrascht, dass sie einfach so dicht gemacht wurden. Das waren fantastische Studios. Sie hätten nationales Kulturgut werden müssen.

Apropos Kulturgut. Vor ein paar Tagen hat sich der deutsche Musiker Sven Regener darüber ausgelassen, wie schrecklich das alles mit dem Internet sei. Youtube und Streaming würden den Künstlern das Geld aus der Tasche ziehen. Siehst Du das ähnlich?

Ich habe das Glück gehabt, in einer Zeit aufzuwachsen, in der wir als Künstler und Musiker respektiert wurden. Wir wurden für das, was wir getan haben, bezahlt. Heute klauen sich viele ihre Musik im Netz zusammen. Es geht mir da gar nicht so sehr um unsere Sachen, wir haben in den Neunzigern Millionen Platten verkauft, aber die junge Bands tun mir leid. Was können die schon tun? Ihre Songs für Werbung verkaufen? Und dann läuft da ein Spot für Pizza im Fernsehen mit deinem Lied drin. Das wertet die Musik ab und das künstlerische geht kompett verloren. Ich stimme Herrn Regener zu, obwohl ich das Interview nicht gehört habe und ihn nicht kenne.

Aber es gibt doch auch so viele Möglichkeiten für junge Bands. Sie können zum Beispiel von Wales aus über das Internet Leute am anderen Ende der Welt erreichen, ohne Majorlabel im Rücken. Ist das nicht positiv?

Klar ist das positiv, aber ich würde diese Menschen dann nicht mit Fans verwechseln. Sie wollen Deine Musik nicht kaufen. Alle sind besessen von Twitterzahlen, Youtubezahlen, Soundcloudzahlen. Aber es sind Zahlen, die nichts bedeuten. Musik ist Kommunikation und Ausdruck, nicht Klicks.

Foto: Copyright by Columbia Records (polaroided)