“MONTAUK
ein indianischer Name; er bezeichnet die nördliche Spitze von Long Island, hundertzehn Meilen von Manhattan entfernt.” (Max Frisch, Montauk, S. 9)
Sie haben sich einen Mietwagen genommen, um wenigstens für einen Tag die absolute Freiheit zu spüren, die nur ein Auto vermitteln kann. Sie fährt, er sitzt daneben, so machen sie es immer. Snopp Dog, der jetzt bei der All Car-Vermietung in Brooklyn arbeitet, fährt den Wagen vor und erklärt ihr die Automatikschaltung. Sie stellt “D” ein und fährt Richtung Brooklyn Bridge. Da wollen sie nicht drüber, sondern kurz vorher zur Auffahrt des Expressways. Das klappt natürlich nicht, also fährt sie über die Brücke, die Ikone der Stadt und sie war noch nie glücklicher, sich verfahren zu haben als in diesem Moment. Vor ihnen Manhattan, links und recht die Taxen und über ihnen die Touristen auf den Aussichtsplattformen. Aber sie sind falsch hier, wenden am riesigen Rathaus, fahren zurück nach Brooklyn und erwischen diesmal auch den Expressway nach Queens. Sie wollen nach Long Island und müssen bis dahin noch zwei Mal die Straße wechseln. Sie rauschen dahin, unter ihnen die Stadt, mit “60 miles an hour”. Sie singt es leise, wie New Order.
I’ll be there for you when you want me to
I’ll stand by your side like I always do
In the dead of night it’ll be alright
‘Cos I’ll be there for you when you want me to
Es ist kein sonniger Tag, obwohl mehr als 20 Grad angekündigt waren. Stattdessen wabert Nebel über dem Expressway, man sieht nicht viel weiter als ein paar Meter. Aber sie brauchen keine Sonne. Sie sitzen im Auto und draußen könnte die Welt untergehen, es ginge ihnen gut. Sie schalten das Radio ein und eine Anruferin aus Bohemia wünscht sich das entsprechende Lied von Queen. Sie bringen sich im Auto in Position und singen es mit wie Wayne und Garth mit. “(Galileo) Galileo (Galileo) Galileo. Galileo, figaro, magnifico-o-o-o!” Sie halten bei 7Eleven, kaufen sich eines dieser bunten Wassereisgetränke im durchsichten Becher und fahren weiter.
Ihr tut ein wenig der Fuß weh, denn sie ist seit über drei Monaten kein Auto gefahren, da schmerzt es dann manchmal wie nach der ersten Fahrstuhlstunde. Der Nebel wird dichter, sie erreichen Southhampton. Auch ohne Sonne leuchten die Holzhäuser in Pastellfarben und sie denkt bei sich, dass sie da gern sofort einziehen und auf der Veranda sitzen würde. “Lass uns aufs Land ziehen,” sagt er Mann, es ist wirklich zu niedlich hier mit den kleinen Läden, Cafés und Sand am Straßenrand. Dann fahren sie an “Tiffany & Co. of the Hamptons” vorbei und er nimmt es wieder zurück. Der Nebel lässt etwas nach, um wenige Meter weiter wieder dick, weiß und flauschig zu werden.
Sie sind jetzt auf der Straße nach Montauk, zur Spitze der Halbinsel. Sie hat das Buch einige Male gelesen und auch wenn der Ort nicht viel mehr ist als der Schauplatz einer Geschichte, die auch nur als Vorwand für weitere Erzählungen dient, hat sie sich immer gewünscht, da zu sein. Da, wo sie jetzt ist. Von den Aussichtspunkten sieht auch heute keiner etwas, sie fahren also bis zum Leuchtturm, weiter geht es nicht. Nach fast drei Stunden Fahrt parken sie den Wagen, schütteln sich aus und laufen den kleinen Hügel hinauf. Ganz bis zum Leuchtturm hinauf geht es allerdings nicht, das Tor ist verschlossen. Es ist Mitte April und die Saison beginnt erst in zwei Wochen, bis dahin ist es umso schöner, nämlich menschenleer. Dahinten ist das Ende der Welt, sie gehen zusammen hin, laufen über Steine, Muscheln und Strand. Sie inhalieren das Meer, schauen auf die Wellen und sind am Ziel. Es ist neblig, aber sehr hell, nicht kalt, aber feucht und windig. Mit Buch am Strand sitzen, wie sie es sich vorgenommen hatten, wird heute nicht funktionieren.
Sie steigen also wieder in ihre kleine, fahrbare Höhle, und brechen auf durch den Nebel zurück Richtung New York. Unterwegs halten sie am Princess Diner, essen als einzige Gäste Burger und schauen auf den kleinen Sandsturm vorm Fenster. Kein Mensch kommt aus den Häusern und der Mann sagt “So beginnen Akte X-Episoden”. Sie fahren, reden, lachen und sind glücklich. Sie tanken voll für 40 Dollar und passieren auf dem Rückweg mehrere Polizeikontrollen. Ein Mörder wird gesucht. Im Nebel. Sie gibt ihm Recht. Auf dem Weg nach Hause verzieht sich der Nebel langsam, aber nicht ganz, dazu zeigt sich die Sonne. Am Horizont sehen sie Manhattan in Umrissen, eine Aussicht wie im Traum. Hinter diesem Tag steht groß und fett gedruckt GLÜCK.